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Welche Geburtsmethode ist die beste?
Prof. Peter Husslein über die Herausforderung der Geburtshelfer

Im Gespräch mit O. Univ.-Prof. Peter Husslein über vaginale Geburt, Kaiserschnitt, sekundäre Sectio und die Herausforderungen der Geburtshelfer.

 

Was sind die Herausforderungen für Geburtshelfer?
Die Erfolge der Geburtshilfe sind wirklich einzigartig. Die Sicherheit von Mutter und Kind hat unglaublich zugenommen und zwar durchaus auch in den letzten 20 bis 30 Jahren. Aber auch die Erwartungen der zukünftigen Mütter und letztlich auch der Väter sind enorm gestiegen, sodass sich heute Familien nicht nur eine gesunde Mutter und ein gesundes Kind, sondern auch noch ein schönes Geburtserlebnis wünschen. Das ist eine faszinierende Herausforderung für uns Geburtshelfer.

 

Welche Möglichkeiten der Geburt gibt es? Es gibt im Wesentlichen zwei Arten, sein Kind auf die Welt zu bringen: Vaginal oder mittels eines Kaiserschnitts. Der erste Gedanke, den man verstehen muss, ist: Eine vaginale Geburt kann man sich erhoffen und wünschen, aber kann sich nicht sicher sein, ob es wirklich so sein wird.

 

Was erwartet mich bei einem geplanten Kaiserschnitt im Gegensatz zu einer sekundären Sectio?
Einen geplanten Kaiserschnitt kann man praktisch sicher so bekommen, wie man es besprochen hat; das ist wichtig, vorweg zu wissen. Denn es geht nicht um den Vergleich von einfacher vaginaler Geburt mit geplantem Kaiserschnitt, sondern es geht darum: Die „versuchte vaginale Geburt“ kann in einer einfachen vaginalen Geburt, in einer mühsamen vaginalen Geburt, in einem sekundären Kaiserschnitt oder einem „Notkaiserschnitt“ enden.

 

„Der Akt der vaginalen Geburt ist vielleicht eines der letzten natürlichen Ur-Ereignisse.“

 

Elektive Sectio oder vaginale Geburt: Was ist für Sie der große Unterschied?
Der ganz große Unterschied ist die Art des Geburtserlebnisses. Der Akt der vaginalen Geburt ist vielleicht eines der letzten natürlichen Ur-Ereignisse und ein sehr aktives Geburtserlebnis. Beim Kaiserschnitt ist der große Vorzug, dass es ein total kontrollierter Akt ist, aber für die Schwangere ein passiver. Man hat es als Arzt sozusagen für sie durchgeführt. Ich vergleiche es gerne mit einem Bergaufstieg. Die einen besteigen einen Berg, während die anderen mit der Gondel hinauffahren. Beide haben am Gipfel denselben Blick. Aber es hat sicher diejenige, die den Berg bestiegen hat, das tiefere Bergerlebnis.

 

Wann muss ein Kaiserschnitt durchgeführt werden?
Beim Kaiserschnitt gibt es Situationen, die unbestritten eine wirklich klare Indikation darstellen. Da gibt es auch gar keine Diskussion. Die Diskussion kreist um die Frage, ob ein geplanter Kaiserschnitt eine sinnvolle Behandlungsalternative bei weitgehend fehlenden Komplikationen ist oder nicht. Das ist die zentrale Frage, um die sich enorme Emotionen aufbauen. Man muss das aber auch etwas im gesellschaftlichen Kontext sehen. Überspitzt formuliert ist es heute nicht mehr so, dass Menschen sieben oder acht Kinder bekommen, damit dann vier oder fünf überleben, sondern man bekommt meist in unserer Gesellschaft ein oder zwei Kinder, manche überhaupt nur eines. Und immer mehr Frauen bekommen ihre Kinder – was in diesem Zusammenhang auch wichtig ist – nicht unbedingt in der Zeit, in der es die Natur vorgesehen hat. Denn die Natur hätte geplant, dass man sehr früh mit seinen Schwangerschaften beginnt. Heute werden aber viele Frauen Ende 30 spontan schwanger oder Mitte 40 mit künstlicher Befruchtung. Das muss man alles in diesem Kontext sehen.

„Wenn eine Frau nach eingehender Beratung und Abwägen aller Risken meint, sie will einen Kaiserschnitt, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, ihr das zu verweigern".

Vaginale Geburt oder geplanter Kaiserschnitt: Wie kommt es da zum Entscheidungsprozess?
Ich führe üblicherweise ungefähr in der 25. Woche ein Gespräch zur Geburt. Und zwar deswegen, weil wenn man es allzu früh macht, interessiert sich die Schwangere nicht dafür, da der Geburtstermin noch zu weit entfernt ist. Wenn man es hingegen erst gegen Ende der Schwangerschaft anspricht, hat die Schwangere nicht mehr viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich mache das immer ein bisschen provokant, damit sich die Schwangere besser einfühlen kann. Natürlich alles immer nur unter der Voraussetzung, dass es keinen wirklich knallharten Grund für einen Kaiserschnitt gibt – etwa bei einer Beckenendlage oder Zwillingen beziehungsweise Drillingen.

 

„Manche Frauen sagen: Ich denke überhaupt nicht daran, ein 3-1/2-Kilo-Kind durch meine Scheide durchzulassen.“

 

Wenn alles in Ordnung ist, dann gibt es drei Haltungen, die eine Frau zur Geburtsplanung einnehmen kann. Ich habe dazu einen breiten Tisch vor mir und zeige auf die eine Seite meines Tisches und erkläre: „Das ist die Position: „Bitte, bitte helfen Sie mir: Ich möchte unter allen Umständen eine vaginale Geburt, weil ich es auch für mein Selbstbewusstsein brauche.“ Dann zeige ich auf die andere Seite meines Tisches, um die andere Extremposition darzustellen. Nämlich: „Ich denke überhaupt nicht daran, ein 3-1/2-Kilo-Kind durch meine Scheide durchzulassen, wenn ich noch nicht mal weiß, ob es funktionieren oder ob es zu Komplikationen kommen wird! Ich möchte einen geplanten Kaiserschnitt  – eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin.“

Dann gibt es die Mittelposition, bei der die Schwangere sagt: „Gut, ich verstehe, dieses Kind muss irgendwie geboren werden. Mir ist der Geburtsmechanismus eigentlich egal. Wenn Sie glauben, dass es leicht geht, möchte ich gerne eine vaginale Geburt versuchen. Aber wenn Gewitterwolken auftauchen und es problematisch werden könnte, zögern Sie bitte nicht, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Ich glaube, dass die Entscheidung keine Frage der medizinischen Risiken ist. Es ist eher eine Frage der Psychologie: Was möchte ich von der Geburt? Wovor fürchte ich mich? Was will ich auf keinen Fall? Worauf freue ich mich, und wovor habe ich eine Abscheu?

Und wenn eine Frau nach eingehender Beratung und Abwägen aller Risiken meint, sie will einen Kaiserschnitt, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, ihr das zu verweigern.”

 

„Ich glaube, dass die Entscheidung für einen Kaiserschnitt keine Frage der medizinischen Risiken ist.“

 

 

Das ist aber gar nicht so einfach zu entscheiden…
Es gibt zwei Arten von guten Geburten. Das ist die einfache vaginale Geburt oder der geplante Kaiserschnitt. Ich halte gar nichts von komplizierten vaginalen Geburten mit Geburtszange, Vakuum, Dammschnitt oder späterer sekundärer Sectio. Die Frage, ob das eher leicht oder nicht leicht gehen wird, die kann man in der Mitte der Schwangerschaft noch nicht unbedingt beantworten, aber gegen Ende der Schwangerschaft gibt es schon sehr viel mehr Anhaltspunkte. Die besten Geburten – sage ich immer – sind die, die von selbst anfangen, und die allerallerbesten sind die, die noch etwas früher anfangen.

Drastisch formuliert: Wenn Sie 14 Tage über dem Termin sind, einen riesigen Bauch haben und sich absolut nichts tut, dann wird das keine einfache vaginale Geburt mehr werden. Wenn Sie dann eine vaginale Geburt anstreben wollen – etwa mit einer Geburtseinleitung, dann müssen Sie sich schon wirklich von ganzem Herzen eine vaginale Geburt wünschen. Ich weiß, dass die Geburt in der Frau enorme Emotionen auslösen kann. Aber es ist die Aufgabe moderner Geburtshilfe, auszuloten, was sich die Schwangere wünscht und was aus Expertensicht möglich wäre. Natürlich kommt man als Arzt der Schwangeren innerhalb eines bestimmten Spielraums entgegen. Wenn jedoch die Risiken überwiegen, muss man als Arzt „Nein“ sagen.

Bei welchen Risken wird fix ein Kaiserschnitt durchgeführt? Bei einer Beckenendlage macht praktisch heute niemand mehr eine vaginale Geburt. Eine vaginale Beckenendlage- Geburt kann nur jemand durchführen, der sehr viel diesbezügliche Erfahrung besitzt. Nachdem in der letzten Zeit fast alle Babys in Beckenendlage mit Kaiserschnitt auf die Welt kommen, gibt es auch kaum mehr jemanden, der heute ausreichend Erfahrung hat, außer vielleicht ein paar ganz alte Geburtshelfer.

Wenn jemand ohne Erfahrung bei einer Beckenendlage eine vaginale Geburt vorzieht, dann hat er ein beträchtliches Risiko, dass das Kind verletzt oder sogar tot Kind auf die Welt kommt. Man sagt, dass es im Schnitt zu einem toten Kind und einem verletzten Kind auf 300 vaginale Geburten bei einer Beckenendlage kommt. Das ist natürlich eine Ziffer, die heute nicht mehr akzeptabel ist.

 

„Bei einer Zwillingsgeburt ist die Komplikationsrate relativ hoch.“

 

Sie müssen sich vorstellen: der Kopf des Kindes hat das größte Durchtrittsplanum. Das hat die Natur sehr geschickt gemacht. Dieses größte Durchtrittsplanum dehnt sehr langsam die Scheide und den Damm auf. Dann geht der größte Teil des Fötus durch, und der kleinere Teil, nämlich die Schulter und der Rest des Rumpfes, rutscht dann nach. Das ist bei der Geburt für die Frauen immer sehr beeindruckend, wenn der Kopf geboren ist, ist mehr oder weniger das Kind auch schon da. Bei der Beckenendlage ist es genau umgekehrt. Da dehnen Rumpf und Schulter nicht gut auf. Dann kommt der größte Teil, nämlich der Kopf, während die Nabelschnur aber noch an der Plazenta hängt. Somit ist ein Abklemmen der Nabelschnur unvermeidbar, wodurch es zu einem Stopp der Blutversorgung kommt. Man muss also dann den großen Kopf durch das schlecht ausgedehnte Vaginalrohr innerhalb von 3 bis 4 Minuten durchschleusen.

Auch bei einer Zwillingsgeburt ist die Komplikationsrate relativ hoch. Da gibt es durchaus Frauen, die unbedingt vaginal gebären wollen und auch Geburtshelfer, die sich für eine vaginale Geburt aussprechen. Aber da ist das Problem sehr oft der zweite Zwilling. Gar nicht so selten kommt es zu einer vaginalen Geburt des ersten und zu einem akuten Kaiserschnitt beim zweiten. Dann gibt es natürlich Fälle, bei der der Mutterkuchen so in der Gebärmutter liegt, dass dem Kind der Platz für den Durchtritt versperrt wird. Außerdem gibt es Situationen, wo es etwa dem Kind in der Gebärmutter nicht gut geht, es wachstumsretardiert ist und der Mutterkuchen es nicht gut versorgt. Da muss eine Geburt eingeleitet werden. Wenn das in der 37. oder 38. Woche passiert, ist die Gebärmutter noch unreif und die Wehen schwierig auszulösen. Das sind alles Situationen, bei denen man noch vor der Geburt sagt, die vaginale Geburt macht keinen Sinn. Wir führen einen geplanten Kaiserschnitt durch.

Bedeutet einmal Kaiserschnitt eigentlich immer Kaiserschnitt?
Nein, überhaupt nicht. Das ist übrigens ganz falsch in der Literatur angegeben, dass nur drei Kaiserschnitte möglich sind. Ich habe vor kurzem den siebten Kaiserschnitt bei einer meiner Patientinnen durchgeführt. Das ist natürlich nicht unbedingt das, was man anstrebt, jedoch durchaus möglich.

 

Was passiert bei der Geburtsüberwachung?
Während der Geburt werden mit der sogenannten Cardiotokographie (CTG) die Wehen und die Herztöne des Fötus kontinuierlich aufgezeichnet und kontrolliert. Medizin ist eine empirische Wissenschaft. Empirisch heißt: Wir wissen zum Beispiel, wie die Herzfrequenzkurve eines Kindes ausschaut, wenn es ihm nicht gut geht, und daraus können wir unsere Schlüsse ziehen. Also während der Geburt sind das Kind und die Mutter wirklich sehr gut kontrolliert und überwacht. Natürlich nur, wenn sie in einem Umfeld sind, wo das möglich ist.

 

Und wie stehen Sie zu Haus- und Hebammengeburten?
Ich glaube, man muss bei Haus- oder Hebammengeburten sehr zurückhaltend sein und die Leute aufklären, dass ein höheres Risiko besteht. Ich bin sehr für Hebammengeburten und war der erste im deutschsprachigen Raum, der Hebammen- Geburtshilfe gefördert hat, das heißt, man wird nur von Hebammen betreut, aber in einem medizinischen Umfeld. Wenn es zu Problemen kommt und die Hebamme quasi mit dem Finger schnippt, ist auch schon der Arzt da.

 

Wie kann man sich den Geburtsbeginn vorstellen?
Die Geburt kann über zwei Mechanismen laufen. Beginnend mit Wehen – das sind Schmerzen, die kommen, dauern ungefähr 30 Sekunden an und gehen wieder. Sie werden von der Schwangeren deutlich als solche wahrgenommen. Das Intervall ist meistens nur schwer vorherzusagen und kann sich aufbauen. Aber es kann schon sein, dass die Schwangere in der Nacht aufwacht und alle drei Minuten Wehen hat. Das Wichtigste, was ich dazu übermitteln möchte, ist: „Sie haben jede Menge Zeit.“

Die zweite Art, wie eine Geburt beginnen kann, ist, dass es ohne Wehen zu einem Blasensprung kommt. Die Fruchtblase bekommt ein Loch und ca. 1 Liter Fruchtwasser rinnt heraus. Wenn das nicht stattfindet, kann man die Geburt einleiten durch Zuführen von Wehenmitteln, die den natürlichen Wehenbeginn nachahmen. Man neigt dazu, zu sagen, dass man bis zu 10 Tage nach dem geplanten Geburtstermin zuwarten kann, länger aber nicht. Diese eingeleiteten Geburten sind meistens etwas schwieriger. Daher bin ich schon der Auffassung, dass man überlegen sollte, ob man nicht gleich einen Kaiserschnitt in Erwägung zieht.

 

Univ.-Prof. Dr. Peter Husslein ist emeritierter Vorstand der Univ Klinik für Frauenheilkunde.

 

www.peterhusslein.at

 

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Meine OP: So funktioniert der Kaiserschnitt

 

 

 

Klinikguide.at-Autorin: Mag.a Michaela Werthmüller