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Genesen – aber nicht gesund
Im Klinikguide.at-Talk: Long-Covid-Spezialist Dr. Edmund Cauza

UNSER EXPERTE
Prim. Doz. Dr. Edmund Cauza ist Leiter der Spezialabteilung für die Betreuung von Long-COVID-Erkrankten am Wiener Herz-Jesu-Krankenhaus und Vorstand der Abteilung Innere Medizin und Akutgeriatrie und Remobilisation.
www.kh-herzjesu.at

Long COVID ist eine Erkrankung mit vielen Gesichtern. Dr. Edmund Cauza schlüsselt auf, was man bisher weiß, wie man Betroffenen helfen und wohin man sich wenden kann. Plus: Hotels mit speziellen Long-COVID-Programmen.

 

Bleierne Müdigkeit. Ständige Erschöpfung. Anhaltende Atemprobleme. Und immer wieder an der Grenze seiner Leistungsstärke. Eigentlich ist man von der Corona-Infektion genesen, aber weit entfernt von gesund. Immer mehr COVID-19-Patient*innen haben nach der Viruserkrankung weiterhin beträchtliche gesundheitliche Probleme. Sie sind sogenannte Long-COVID-Patient*innen. Und Long COVID ist eine Erkrankung mit vielen Gesichtern. Die Ursachen für sie sind auch nach mehr als 2 ½ Jahren Pandemie weitgehend unklar.
Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden zwischen zehn und 20 Prozent der an COVID-19 Erkrankten noch Monate nach der Infektion an sogenanntem „Long COVID“.
Allein in Europa soll es 17 Millionen Fälle geben. Die Liste der Symptome ist lang und reicht von Kurzatmigkeit und Erschöpfung über verminderte Leistungsfähigkeit und Gedächtnis- bzw. Konzentrationsproblemen bis hin zu Haarausfall und Halluzinationen. Eine neue britische Studie, die im Fachmagazin „nature medicine“ Ende Juli publiziert wurde, hat mindestens 62 Symptome ermittelt. Dazu hat ein Forschungsteam rund um Shamil Haroon von der University of Birmingham die elektronischen Gesundheitsdaten von 2,4 Millionen Menschen in Großbritannien ausgewertet. Die sich im Schatten der COVID-19-Pandemie neu entwickelnde Volkskrankheit ist nicht nur für die Betroffenen selbst ein Problem, sondern auch für das Gesundheitswesen und die gesamte Gesellschaft.

Herr Dr. Cauza, wie viele Long-COVID- Patient*innen betreuen Sie gerade?
Aktuell betreue ich ca. 40 Patient*innen mit Long COVID. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt österreichweit weiterhin bei ca. 10–12 % der Patient*innen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ein Long-COVID-Syndrom vor.

 

Post COVID – Long COVID: Wie unterscheiden sich die beiden Syndrome?
Post COVID unterscheidet sich von Long COVID in der Dauer der bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Anhaltende Beschwerden ab einer Zeitspanne von vier Wochen nach einer Infektion werden als Long COVID oder postakute Folgen von COVID-19 bezeichnet. Bei Persistenz (Anm. d. Red.: Bestehenbleiben) von mehr als zwölf Wochen spricht man vom Post-COVID-Syndrom. Die Beschwerden beginnen entweder bereits in der akuten Erkrankungsphase und bleiben längerfristig bestehen oder treten im Verlauf von Wochen und Monaten nach der Infektion neu oder wiederkehrend auf.

 

Was weiß man mit Stand heute über Long COVID?
Die Pathogenese des Long-/Post-COVID-Syndroms ist nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und nicht bei allen Patient*innen gleich. Mögliche Mechanismen sind nach Infektion oder COVID-19-Therapie persistierende Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen als Krankheitstrigger sowie eine chronische Inflammation mit immunlogischen/autoimmunologischen Reaktionen. Auch eine nachgewiesene post-virale Koagulopathie (Gerinnungsstörung) wird ursächlich für anhaltende Beschwerden vermutet. Bislang fehlen für viele klinischen Pro­bleme noch pathophysiologische Erklärungen und auch Evidenzen aus klinischen Studien.

 

Wie lange kann der Zustand anhalten?
Zum Verlauf von Long COVID liegen noch nicht genug Daten für eine endgültige Betrachtung vor. Untersuchungen zeigen, dass der Anteil der
Betroffenen mit jeder vergangenen Woche sinkt, was sich auch mit den meisten Studienberichten deckt. Somit ist die Prognose relativ gut. Die Dauer der Rekonvaleszenz ist bisher nicht definiert und sehr unterschiedlich, einige Wochen bis mehrere Monate. Long COVID kann monatelange Einschränkungen im Alltag bedeuten. Ein wellenförmiger Verlauf der Beschwerden ist typisch, gelegentlich liegen mehrere Tage oder gar Wochen ohne große Probleme zwischen symptomatischen Phasen.

 

Kann sich das Krankheitsbild eigentlich ohne Therapie verschlechtern?
Da es derzeit noch keine gesicherten Therapieoptionen gibt, ist in der Versorgung von Patient*innen der Schwerpunkt in der symptomorientierten Behandlung.

Es gibt bereits einige Studien zum Einsatz von Medikamenten bei Long COVID: Wie ist da der Stand?
Gesicherte medikamentöse therapeutische Interventionen beim Long-/Post-COVID-Syndrom sind bisher nicht bekannt. Die bei einem Teil der Patient*innen beobachtete Viruspersistenz wird auf eine unzureichende Immunantwort zurückgeführt. Nicht gesichert ist die Effektivität einer Vakzinierung beim Long-/Post-COVID-Syndrom. Zurzeit werden eine Vielzahl von medikamentösen Behandlungsansätzen oder andere therapeutische Verfahren in klinischen Studien überprüft. Wenn es auch positive Fallberichte und kleine positive Fallserien geben mag, ist aktuell eine generelle Anwendung nicht empfohlen. Hier sind weitere Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien abzuwarten. Die Impfung kann das Risiko von Long-/Post-COVID reduzieren, aber auch hier gibt es derzeit keine gesicherte Datenlage. Vorteile einer Impfung bei Long-/Post-COVID-Patient*innen ist die Verringerung des Reinfektionsrisikos, welche ein Progress eines Long-/Post-COVID Syndroms nach sich ziehen könnte.

 

Wo wird Long COVID gezielt behandelt und wer sind die Expert*innen auf diesem Gebiet?
Long-/Post-COVID-Syndrom ist eine Multiorgankrankheit mit einem breiten Spektrum von Manifestationen. Häufige und sehr häufige Symp­tome sind: Fatigue, Leistungsminderung, Atembeschwerden, Kopf-, Muskel-, Gelenkschmerzen, Geschmacks- und Riechstörungen, Husten, Schlafstörungen, Angst, Herz-Kreislaufbeschwerden, Herzrasen und vieles mehr. Eine fächerübergreifende, interdisziplinäre Versorgung ist erforderlich. Die Zusammenarbeit vieler Expert*innen – etwa aus der Inneren Medizin mit Schwerpunkten Kardiologie, Rheumatologie, Pulmologie, Endokrinologie, Nephrologie, Neurologie, Neuropsychologie, Dermatologie, HNO, Ophthalmologie, Physikalische Medizin und Psychosomatik – ist notwendig.

 

Wer zahlt welche Behandlungsformen?
Rehabilitative Behandlungen nach COVID-Infektionen müssen ein weites Spektrum von Therapieoptionen und Angeboten beinhalten. Stationäre Folgebehandlungen, aber auch ambulante Versorgung und ambulante Heilmittel müssen abgedeckt werden. Bei initial schwerem Verlauf wird mit der Rehabilitation noch auf einer Intensivstation begonnen, die Frührehabilitation im Akutkrankenhaus, darauf folgt die Anschluss-Rehabilitation, z. B. Post-COVID-AIR (akute intensive Rehabilitation), welche im Herz-Jesu Krankenhaus seit Herbst 2020 angeboten wurde. Für diese Behandlungen erfolgt die Kostenübernahme von den gesetzlichen Krankenversicherungen. Ein stationärer Aufenthalt vor Beginn und eine somatische Dia­gnose müssen vorliegen. Weitere rehabilitative Heilverfahren (ambulante oder stationäre Rehabilitation und/oder Langzeitrehabilitation) können ohne vorhergehenden Krankenhausaufenthalt mit ärztlicher Stellungnahme beantragt werden.

 

Braucht es Ihrer Meinung nach mehr Spezial­ambulanzen, damit die üblichen Stationen nicht überlaufen werden?
Es wäre wünschenswert, wenn Spezialambulanzen für diese Patient*innengruppen verfügbar wären – ganz besonders wäre eine interdisziplinäre Betreuung dieser Patient*innen notwendig. Zum Beispiel wenn eine Patientin oder ein Patient an Beschwerden aus dem kardiologischen und rheumatologischen Bereich leidet, sollte eine zeitnahe interdisziplinäre Zusammenarbeit aus diesen Fachbereichen stattfinden können. An einer diesbezüglichen Vernetzung wird gerade gearbeitet. Als Erstanlaufstelle sollte immer die Allgemeinmedizinerin oder der Allgemeinmediziner fungieren.

 

Sollten die Sozialversicherungs- und Krankenanstaltsdaten zu Forschungszwecken (und natürlich nach den Richtlinien des Datenschutzes) mit dem epidemiologischen Meldesystem verknüpft werden?
Ja, auch das wäre wünschenswert.

Text: Andrea Reimann