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Gesund werden in der Slow Clinic?
Vier Szenarien für das Spital der Zukunft. Von Trendforscherin Corinna Mühlhausen

Die Covid-19-Krise hat gezeigt: Die Spitäler bilden das Herzstück des Gesundheitssystems. Dennoch stehen die Kliniken auf dem Prüfstand. Sie müssen sich wandeln, um künftig mehr Gesundheit und Vorsorge für die Patienten, bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte und Mediziner sowie eine optimierte ökonomische Versorgung sicherstellen zu können.

 

KRANKENHÄUSER IM ZENTRUM DER PANDEMIE. Die Jahre 2020/2021 haben die Probleme der Gesundheitssysteme rund um den Globus wie mit einem Brennglas hervorgehoben. Im Fokus der Aufmerksamkeit: Die Kliniken mit ihren Möglichkeiten, Patientinnen und Patienten, die sich mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert hatten, zu versorgen und gleichzeitig die gewohnte Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten. Viel wurde darüber berichtet, dass Betten- und Intensivkapazitäten nicht ausreichen und wir alle mussten lernen, dass es nicht nur an Geld und Personal fehlt, sondern – aufgrund des Zeitmangels, unter dem alle Mitarbeiter in den Kliniken zu leiden haben – vor allem an Aufmerksamkeit mangelt, die dem einzelnen Patienten gezollt werden kann. Besonders ein „Slow Spital“ könnte die Lösung für dieses Problem darstellen. Doch auch die anderen drei Szenarien zur Klinik der Zukunft zeigen Möglichkeiten zur Transformation auf.

 

 

 

SZENARIO 1. Smart Hospital: Mit High Tech gegen den Pflegenotstand. Diesem Szenario liegt die Grundannahme eines extrem hohen Digitalisierungsgrads gepaart mit einer stark globalisierten Welt zugrunde. Daraus resultiert auf Seiten der Patienten ein sehr großes Vertrauen in alle Formen von Internet-Medizin und gesundheitliche Online-Beratung. Zudem ist die Alltagswelt voll digitalisiert. Eine Art Gesundheits-Facebook begleitet die Menschen durch ihren Tag, elektronisches Gesundheitstracking und E-Arztbesuche sind die erste Wahl.

 

 

SZENARIO 2: Living Clinic Community: Gemeinsam ganzheitlich gesunden.In diesem Szenario ist das Gesundheitssystem ähnlich vernetzt und globalisiert wie in Szenario 1.  Der Unterschied besteht hier in der gegensätzlichen Ausprägung der Digitalisierung. In diesem Zukunftsbild wird von der Annahme ausgegangen, dass es einen Backlash der Natur gegen die omnipräsente Digitalisierung gibt. Folglich fokussieren sich die Menschen auf eine Heilkunst zwischen Innovation und Tradition. Besonders geschätzt wird die Wohnort-nahe Versorgung und der enge Austausch mit allen Pflegekräften und Medizinern.

 

 

 

Corinna Mühlhausen hat sich als Journalistin und Trendforscherin auf den Gesundheitsmarkt spezialisiert.

 SZENARIO 3: Me Clinic: Medizin wird maßgeschneidert und multimodal. Der hohe Stellenwert des Themas Digitalisierung eint Szenario 3 und 1. Im direkten Gegensatz zum Zukunftsbild Smart Clinic organisieren die Menschen ihren Alltag hier aber rund um die digitalisierten Möglichkeiten. Das Internet ist ein wichtiger Ratgeber  – allerdings mit einem starken Fokus auf lokale Netzwerke. Social Media entwickelt sich zu Local Media weiter.

 

 

SZENARIO 4: Slow Clinic: Entschleunigung für eine Beschleunigung der Gesundung. In diesem Zukunftsbild ist der Fokus auf die Themen Natur und Vorsorge am ausgeprägtesten. Natur- und Alternativmedizin sowie alle komplementären Behandlungsoptionen genießen allerhöchstes Ansehen. Im Gegensatz zum Szenario der Living Clinic Community bauen die Patienten aber auf das Wissen ihrer Mütter und Vorväter: Regionalität und individuelle Lösungen (auch im Präventionsbereich) stehen ganz oben. Der eigene Apotheker oder die langjährige Hausärztin sind die wichtigsten Vertrauten in allen medizinischen Fragen. Ein gesundes Misstrauen begleitet jedwede Aktivität im Bereich der Internetmedizin oder gegenüber dem Self Tracking-Trend. Echte Messwerte und persönliche Empfehlungen stehen ganz oben an. Im Pharma-Segment genießen bekannte Hersteller, gerne aus der eigenen Region, vertraute Rezepturen und tradierte Markennamen größtes Ansehen. OTC-Medizin konzentriert sich in diesem Szenario auf das Thema Phytopharmaka, gleichzeitig gibt es ein Revival von Hausmitteln. Gekauft wird in jedem Fall beim ortsansässigen Anbieter. Und auch die lokale Klinik ist im besten Fall tief verwurzelt mit der Region.

 

GUT ZU WISSEN: Eine besondere Bedeutung kommt im Zukunftsbild Slow Clinic dem Branchentrend Healing Architecture zu: Mit diesem Begriff wird eine Konzentration von Architektur sowie Stadt- und Landschaftsplanung beschrieben, Gebäude oder ganze Stadtviertel sowie Grünanlagen im Sinne eines ganzheitlich verstandenen Gesundheitsengagements weiterzuentwickeln. Das wichtigste Einsatzgebiet betrifft dabei die Planung, den Neubau oder die Sanierung von Gebäuden zur Gesundheitsversorgung. Kliniken, medizinische Versorgungszentren oder Praxen sollen künftig grundsätzlich so gestaltet werden, dass sie die Gesunderhaltung oder Genesung aktiv unterstützen – vom Energiekonzept und der Beleuchtung über die Wegeführung bis hin zum Innendesign. Dazu ist es unerlässlich, Architektur und Baugewerbe mit Erkenntnissen über Patientinnen- und Patientenbedürfnissen zu konfrontieren. In der Slow Clinic der Zukunft wird das zu einer Selbstverständlichkeit.

 

 

FAZIT: Es lohnt sich, bei der Umgestaltung der Spitäler in den nächsten Jahren auf das zu schauen, was sich die Menschen wünschen – die Patientinnen und Patienten aber auch alle Mitarbeitenden – und das sind Zeit, Resonanz und eine Form von Konnektivität, die High Tech und High Touch integriert. Nur so können Zentren und Klinikmarken entstehen, die ökonomisch und menschlich zugleich funktionieren und das neue Grundprinzip von Holistic Health in allen Teilbereichen umsetzen. Ob dabei dann tatsächlich Slow Spitäler, Living Clinic Communities oder Smart Hospitals entstehen, ist zunächst einmal zweirangig – entscheidend wird es sein, den individuellen Patienten in den Mittelpunkt zu rücken. Und vermutlich wird das beste Spital der Zukunft eine Mischung mehrerer Szenarien widerspiegeln.

 

 

Health Report 2022

 

 

Zur Autorin: Corinna Mühlhausen hat sich als Journalistin und Trendforscherin auf den Gesundheitsmarkt spezialisiert. Ihr Grundthema ist der Healthstyle, also die Frage, was Patient:innen dazu bewegt, sich eigenverantwortlich um Gesundheit und Wohlbefinden zu kümmern, was die Menschen eigentlich wirklich unter Gesundheit verstehen und welche Megatrends und Hypes die Entwicklung in der Gesundheitsbranche antreiben. Ihre aktuelle Publikation heißt „Health Report 2022“ und ist im März 2021 im Zukunftsinstitut von Matthias Horx erschienen. Weitere Informationen unter: www.trendcoach.de oder www.zukunftsinstitut.de

 

Im Bild oben: Das Motto der Klinik Floridsdorf, entworfen von Albert Wimmer ZT-GmbH“, lautet „patient comes first“. Wichtiger Punkt dabei ist u.a. das „healing environment“ mit grünem Patient*innengarten

 

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